Workshop A1: Demokratie lebt durch Partizipation – Fallbeispiel Agro-Gentechnik

Samstag, 25. April 2009, 9.00 – 10.30h / Pause / 11.00 – 12.00h / Mittagspause / 13.00 – 15.00h
Sprache: Englisch und Deutsch

Organisation und Moderation

Christof Potthof (GENET/ Gen-ethical Network, Berlin, Germany)

Rednerinnen und Redner:

Aarhus Konvention:
Ilya Trombitsky, Eco-TIRAS International Environmental Association, Moldawien
Fiona Marshall, Sekretariat der Aarhus Konvention, Genf, Presentation: The Aarhus Convention and GMOs (pdf, 165 KB, Englisch)
Vor Ort aktiv - wirksam in Brüssel und anderswo: Dieser Teil des Workshops soll mit verschiedenen kurzen Erfahrungsberichten aus den Reihen der Workshop-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen eingeleitet werden.
Christoph Fischer (Zivilcourage Rosenheim, Deutschland www.zivilcourage.ro
Urs Hans, Public eye on Science, Schweiz www.publiceyeonscience.ch
Wisenschaft und Forschungs-Agenden:
Claudia Neubauer, Fondation Sciences Citoyennes, Paris, Frankreich

Outline:

Unter dem Dach „Demokratie lebt von Partizipation” (Partizipation mit Recht!) wird sich der Workshop mit drei speziellen Fragestellungen von Partizipation beschäftigen:

– Partizipation im nationalen und internationalen Recht: Aarhus-Konvention - Partizipation, Information und Rechtsschutz
– Partizipation der Bewegung/ der Regionen/ der Menschen vor Ort: Vor Ort aktiv - wirksam in Brüssel und anderswo
– Partizipation bei der Forschung/ beim Aufstellen von Forschungsagenden

Es ist unglaublich: Seit Jahren sind die Umfragewerte konstant. Europäische Bürgerinnen und Bürger wollen keine gentechnisch veränderten Pflanzen. Nicht auf dem Acker und nicht als Produkte auf dem Teller. Immer wieder, in grossen und kleinen Initiativen, in Brüssel oder in den ländlichen Räumen der Mitgliedstaaten, engagieren sich tausende von Menschen gegen den Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittel-Produktion - egal ob in Europa oder anderswo auf der Welt. Trotzdem scheint die Kommission der Europäischen Union in Brüssel nur die Interessen der grossen Gentech-Konzerne - Monsanto, Bayer, BASF, Syngenta und so weiter - im Blick zu haben - Hand in Hand mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA will sie einen neuen GVO nach dem anderen zulassen. Viele erkennen in dieser Diskrepanz einen grundsätzlichen Mangel an Demokratie, manche gehen so weit, diese als symptomatisch für die Ferne/ Entfernung zwischen dem EU-Kosmos in Brüssel und den Menschen in den Ländern anzusehen. Anhand der drei oben genannten Beispiele/ Politikfelder - Aarhus-Konvention, Aktive vor Ort und Forschung - soll in dem Workshop ergründet werden, wie sich dieses Demokratie-Defizit darstellt und wie es überwunden werden kann. Welche Ansprüche haben wir an Partizipation in Sachen gentechnisch veränderte Organismen, Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion.

Aarhus-Konvention
Im Anfang für Partizipation steht die Information. Aus diesem Grund steht am Anfang dieses Workshops die Aarhus-Konvention und speziell deren so genannte Änderung von Almaty (aktuelle Info dazu unter: www.unece.org/env/pp/ratification.htm). Die Aarhus-Konvention unter dem Dach der Vereinten Nationen (UNECE, im Netz unter: www.unece.org/env/pp)
 sichert einen - im internationalen Recht bisher einmaligen - Zugang zu (bei Behörden und staatlichen Institutionen vorliegenden) Informationen mit Umweltrelevanz („Informationen über die Umwelt”). Die Änderung von Almaty erweitert die Rechte der Aarhus-Konvention explizit auf den Bereich der gentechnisch veränderten Organismen, speziell auf deren Freisetzung in die Umwelt. Neben dem Recht auf den Zugang zu Informationen mit Umweltrelevanz steht die Konvention auf zwei weiteren Säulen: der Partizipation („Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren”) und der Rechtsschutz.

Zum Stichwort Partizipation heisst es zum Beispiel in den Erwägungsgründen der Aarhus-Konvention, dass „im Umweltbereich ein verbesserter Zugang zu Informationen und eine verbesserte Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren die Qualität und die Umsetzung von Entscheidungen verbessern.”

Vor Ort aktiv - wirksam in Brüssel und anderswo
Gentechnik-freie Regionen, Zonen und Initiativen gründen sich und werden von Tag zu Tag zahlreicher: als Zusammenschluss von Bäuerinnen und Bauern, als Kooperation zwischen Verbänden aus der Landwirtschaft, der Verbraucherinnen und Verbraucher und Gruppen des Umwelt- und Naturschutzes, als kommunale oder regionale Körperschaft oder in anderer Form. Aber auch andere Initiativen tragen die europäische Bewegung gegen die Agro-Gentechnik - die Bewegung ist vielfältig und laut.

Aber Brüssel macht, was es will. Die Kommission drängt Mitgliedstaaten zur Zulassung gentechnisch veränderter Sorten. Andere EU-Institutionen spielen der Gentech-Industrie in die Hände. Notorisch ignorieren Institutionen der Union, allen voran die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit in Parma, Forschungsergebnisse, die auf Risiken und Schäden durch GVO hinweisen.

In manchen Regionen sind fast alle Bauern gegen die Verwendung von transgenem Saatgut, trotzdem geniessen gentechnik-freie Regionen, Zonen und Initiativen keinen Schutz.

Forschung
Die Forschungsagenda der EU und der Nationalstaaten fördert in grossem Masse Gen- und Biotechnologien. Das ist seit Jahren der Fall. Mit Forschungsgeldern aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm werden Projekte gefördert, die nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger liegen. Gleichzeitig werden Projekte zur Förderung einer nachhaltigen und ressourcen-schonenden Land- und Lebensmittelwirtschaft zu wenig berücksichtigt.

Partizipation ist in den Verfahren zum Aufstellen von Forschungsagendas ein Wort, dass man in der Regel vergeblich sucht. Wenn der Begriff denn überhaupt auftaucht, dann ist großspurig von Stakeholder-Beteiligung die Rede, hinter der sich oft genug die üblichen Verdächtigen aus Industrie, Wissenschaft und Verwaltung verbergen, siehe zum Beispiel die EU-Technologie-Plattform zum ”Pflanzen für die Zukunft” (”Plants for the Future” www.epsoweb.org/catalog/tp/).

Programm:

(1) In dem Workshop wollen wir die Aarhus-Konvention darauf abklopfen, ob sie Hilfsmittel für eine Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Gruppen, der Nichtregierungsorganisationen und der aktiven Menschen vor Ort in der gewünschten Art sein kann.
(2) Welche Wege können wir gehen, um vor Ort aktiv und in Brüssel und anderswo wirksam zu sein?
(3) Ein Schritt, die Partizipation in der Forschung zu verbessern ist die aktuelle Gründung eines Netzwerkes von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die - unter anderem - das Interesse der Bevölkerung und die unabhängige Forschung stärken wollen. Das Netzwerk wird im Workshop vorgestellt.

Hintergrund und Literatur:

www.genet-info.org

www.publiceyeonscience.ch

www.sciencescitoyennes.org

www.unece.org/env/pp/gmoamend.htm

www.nabu.de/en/themen/gentechnik/

 

Workshop Protokoll

Der Workshop war in drei Bereiche geteilt:

- Partizipation im nationalen und internationalen Recht: Aarhus-Konvention - Partizipation, Information und Rechtsschutz

- Partizipation der Bewegung/ der Regionen/ der Menschen vor Ort: Vor Ort aktiv - wirksam in Brüssel und anderswo

- Partizipation bei der Forschung/ beim Aufstellen von Forschungsagenden

Allgemein: Wir müssen es selbst tun!!!

Der Workshop wurde von etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern getragen.

Sollte eine zentrale Botschaft von dem Workshop ausgehen, dann lautet sie: Wir müssen es selbst tun!!! Wir müssen selbst die rechtlichen Wege und Rechte nutzen, um Partizipation umzusetzen. Wo diese begrenzt sind, ist es notwendig, die Grenzen zu bearbeiten, damit sie in unserem Sinne verschoben werden.

Gerade die letzten Monate haben aber auch gezeigt, dass die Arbeit der Bewegung nicht umsonst ist. Zuletzt die neuen nationalen Verbote des gentechnisch veränderten Mais MON810 von Monsanto in Luxemburg und Deutschland wären - nach Überzeugung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Workshop - nicht möglich gewesen.

Aarhus-Konvention

Die Aarhus-Konvention unter dem Dach der Vereinten Nationen (UNECE) sichert einen - im internationalen Recht bisher einmaligen - Zugang zu (bei Behörden und staatlichen Institutionen vorliegenden) Informationen mit Umweltrelevanz („Informationen über die Umwelt”). Die Änderung von Almaty erweitert die Rechte der Aarhus-Konvention explizit auf den Bereich der gentechnisch veränderten Organismen, speziell auf deren Freisetzung in die Umwelt. Neben dem Recht auf den Zugang zu Informationen mit Umweltrelevanz steht die Konvention auf zwei weiteren Säulen: der Partizipation („Öffentlichkeits­beteiligung an Entscheidungsverfahren”) und der Rechtsschutz. Der Änderung von Almaty fehlen zu ihrem Inkrafttreten noch neun Unterschriften von Mitgliedsstaten der Aarhus-Konvention; die Konvention selbst trat bereits 2001 in Kraft. Über die bisher noch verhältnismässig unbekannten internationalen Vereinbarungen wurde im Workshop informiert. Auch wenn eine Skepsis - ob die Aarhus-Konvention inkl. ihrer Almaty-Änderung die bisherigen Probleme beim Zugang zu bestimmten Informationen lösen kann - bei den Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht zu überhören war, war gleichzeitig das Interesse an und die Aufgeschlossenhit gegenüber diesem neuen Werkzeug gross. Die Aarhus-Konvention - und damit auch die Änderungen von Almaty - gehen davon aus, dass umweltrelevante Entscheidungen der Behörden besser werden, wenn es eine weitgehende Beteiligung der Öffentlichkeit gibt

Vor Ort aktiv - wirksam in Brüssel und anderswo

Ermuntert durch die jüngsten Erfolge der Bewegung (insbesondere die beiden neuen nationalen Verbote von MON810) war der Blick der Teilnehmerinnen und Teilnehmer optimistisch nach vorne gerichtet. Der Workshop diente in erster Linie dem Austausch von Erfahrungen. Verschiedene Teilnehmer und Teilnehmerinnen betonten die Notwendigkeit, breite Koalitionen zu bilden. Um einen Punkt aus der Diskussion hervorzuheben: „Informationen sind ansteckend” - darin liegt für die Bewegung gegen die Agro-Gentechnik ausgesprochen grosses Potential.

In diesem Sinne ist auch die Aufforderung zu verstehen, möglichst weit gehende Transparenz bei der eigenen Arbeit in der Bewegung zu bieten. Wenn auch im Workshop nicht unwidersprochen, war doch die Mehrheit der Workshop-Beteiligten der Ansicht, die Nachvollziehbarkeit - zum Beispiel - unserer Strategien im Internet könnte ebenfalls inspirierend und ansteckend sein.

Forschung/ Forschungsagenden

In dem Teil des Workshops, der sich der Partizipation bei der Forschung und bei der Aufstellung von Forschungsagenden widmete, wurde die Gruppe zunächst über die Entwicklung der Forschung in den letzten Jahrzehnten informiert. Begriffe wie Innovation wurden kritisch beleuchtet, zum Beispiel in der Weise, dass mit Innovation heute fast immer Hightech verbunden ist und selten Midtech, Lowtech oder gar Notech.

Grosse Forschungs- und Entwicklungsressourcen fliessen in wenige Bereiche; in den so genannten Lebenswissenschaften, unter anderem Biologie und Agrarwissenschaften, bedeutet dies - insbesondere wenn die finanziellen Mittel betrachtet werden - zunehemend/ fast ausschliesslich, dass Bio- und Gentechnik im Spiel ist.

Erst langsam und mit sehr geringen Anteilen an bestimmten (zum Beispiel regionalen) Budgets für Forschung und Entwicklung werden diese durch Gremien Vergeben, in denen zivilgesellschaftliche Gruppen oder/ und normale Bürgerinnen und Bürger vertreten sind. Trotzdem waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops einig, dass in diesen neuen Ansätzen für eine Partizipation in der Forschung und beim Aufstellen von Forschungsagenden ein grosses Potential liegt.

Zu guter Letzt wurde ein neues europäisches Wissenschaftlerinnen- und Wissenschaftlernetzwerk vorgestellt, mit dessen Gründung bis zum Ende dieses Jahres gerechnet werden kann.

Die Mitglieder, unter anderem aus der Wissenschaft (insbesondere von öffentlichen Forschungsstellen und Universiäten) und der Zivilgesellschaft, verbindet zum Beispiel, dass sie die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes bei der Einführung neuer Technologien, für wichtig halten. Auch spielt die Rolle der Whistleblower, der Hinweisgeber aus der Wisenschaft, eine wichtige Rolle bei er Gründung des Netzwerkes. Whistleblower werden die warnenden Stimmen genannt, die sich entgegen den Interessen ihrer Vorgesetzten oder Arbeitgeber, an die Öffentlichkeit wenden, um vor einem Missstand zu warnen - zum Beispiel, wenn wichtige Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nicht in die Risikoabschätzung von einem neuen Produkt oder einer neuen Technologie einbezogen werden. Ein Großteil der beteiligten Personen beschäftigt sich mit Fragen im Umfeld (der Regulierung) von gentechnisch veränderten Organismen. Die Arbeit des Netzwerkes, für das die US-amerikanische Vereinigung „Union of Concerned Scientists” Vorbild steht, soll aber nicht auf dieses Feld beschränkt sein. Das Netzwerk hat seit kurzem eine Homepage: www.en-cs.org, die allerdings noch im Aufbau ist.

Download the Protokoll (pdf, 16 KB, Deutsch)

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